Australien

"Die Presse" 2007

 Melbourne versus Sydney

 In einem abgewrackten Kombivan zu fahren, auf einem Hippietrail mit dem Kopf voll Zombie, kennen Sie das? „Zombie“ ist umgangssprachlich für Marihuana und der Text ist nun ein Vierteljahrhundert alt: „Down Under“, die heimliche australische Nationalhymne von Men at Work, brachte 1983 eine neue Blickrichtung auf den südlichsten Kontinent in die Weltöffentlichkeit. Das Lied handelt nicht nur von Achtziger-Jahre-Drogen, sondern beschäftigt sich in erster Linie mit dem Wiedererkennungseffekt australischer Identität. Der Erzähler, eine Weltreisender, steht in Brüssel vor einem vermeintlich Einheimischen, „but he just smiled and gave me a vegemite sandwich“. Ein vorzüglicher sozialer Code – denn wer, wenn nicht ein Australier, könnte den schwarzen, mehlig-süßlichen Hefeextrakt Vegemite mit einem Lächeln quittieren?

Der fünfte Kontinent wird gerne als Einwanderungsland, Naturreservat oder Sträflingskolonie interpretiert. Das alles ist er natürlich auch. Vor allem ist Australien aber ein Spiegelbild der westlichen Gesellschaften, das das Original an Frische und Authentizität oft übertrifft. Die Kehrseite: das gespaltene Verhältnis zur Vergangenheit. Unter anderem erkennbar im Eifer, mit dem sich viele Intellektuelle der zerstörten Aborigines-Kultur zuwenden – wobei gar nicht jeder Aborigines persönlich kennt. Kein Wunder, wenn die alte Kultur oft nur in Fußgängerzonen als Digeridookonzert sichtbar wird. Auch das haben Men at Work in der teilweise opulenten Instrumentierung ihres Erstlings „Business as usual“ Bezug genommen.

 

Das urbane Australien lebt von einem grundlegenden und gerne besprochenen Gegensatz: Melbourne, Bundessstaat Victoria, kontra Sydney, Bundesstaat New South Wales. Vieles auf dem kleinsten Weltkontinent lässt sich auf diese Rivalität zurückführen. Men at Works „Down Under“ entstand nicht zufällig in Melbourne, der britischeren, gebildeteren Metropole, die Wert auf ihre Kulturszene legt und das laute, energiegeladene Sydney gerne als oberflächliche Seifenblase diskreditiert. Traditionell stehen Melburnians und Sydneysiders einander verständnislos gegenüber, fast unversöhnlich. Deshalb ist auch Canberra, mittlerweile achtgrößte Stadt Australiens, 1908 zur Hauptstadt bestimmt und nach Planentwürfen in den Eukalyptuswäldern von New South Wales errichtet geworden. Allerdings schuf man für Canberra, das übrigens beinahe „Eucalypta“ genannt worden wäre, auch den eigenen Bundesstaat ACT, „Australian Capital Territory“.

Melbourne verströmt noch im Spätsommer, in der Zeit nach dem Formel-1-Rennen auf dem Stadtkurs im Albert Park, den Geruch einer Ferienstadt. Der „Queen Victoria Markt“ nördlich des Stadtzentrums ist der Schnittpunkt zwischen heimischer Produktion und Importprodukten aus Asien. In der Feinkoststraße wetteifern dick belegte italienische Pizzas mit Falafel und Chicken-Wraps. Nicht weit davon die Fußgängerzone, eine gemütliche Chinatown und gegenüber vom alten Bahnhof Flinders Street, am Fluss, der neu gestaltete Federation Square mit seinen Museen. Die Rialto Towers in der Collins Street waren bis vor nicht allzu langer Zeit das höchste Gebäude der Südhalbkugel. Vom Observation Deck im 55. Stock verschafft man sich einen guten Überblick: der Yarra-Fluß quer durch Central Melbourne, die alten Vorstädte Fitzroy, Carlton und Richmond, und freie Sicht in den Port Phillip Bay. Davor liegt der Stadtteil St. Kilda, per Tram in 30 Minuten erreichbar.

 

St. Kildas Strand ist nicht sehr imposant, ein kleiner Buchtstreifen hinter dem Luna Park, wo die älteste Scenic Railway der Welt jedes Wochenende in Betrieb geht, ein schepperndes Ding mit größerem Traditions- als Gänsehautwert. Die Häuser sind meist ein- bis zweistöckig und tragen hinter den schmiedeeisernen Gitterverzierungen Aufschriften wie „Wawn Terrace“, „Clyde Court“, „Delorraine“. In den Hinterstraßen St. Kildas herrscht die Ruhe der bürgerlichen Nachbarschaft. Hier, wo die Welt noch in Ordnung ist, sprechen ältere und jüngere Nachbarin, wenn beide aus ihren Autos steigen, etwa so miteinander: „Hello darling, how are you, darling?“ „Very – very – well!”

In der Acland Road, der Vergnügungsstraße mit Thai-, Pizza- und Steaklokalen, mit Boutiquen und kleinen Cafés, wird hingegen Leitungswasser in Absolut-Wodkaflaschen serviert. Rund um die Uhr feiern hier die Backpackers. Der Securitymann vor dem Pub kontrolliert, ob eh keiner eine Baseballkappe trägt. Er mahnt die Widerspenstigen zum Kappenabsetzen: jedes Land pflegt seine Religionen.

So wie Vegemite, auch wenn das von Fans bestritten wird, eine Variation des britischen Aufstrichs Marmite sein muss, könnte man „Down Under“ als spektakuläre Ausgabe Großbritanniens interpretieren: die Queen ist auf Geldnoten allgegenwärtig, die Oberschicht der Großstädte imitiert London nicht nur bei der Aussprache der Vokale bis in kleine Nuancen, doch dahinter liegen 7,7 Millionen Quadratkilometer Land. Diese erschreckende Weite schließt die Entwicklung einer Inselmentalität völlig aus. Der Cocktail Sydney und Melbourne hat neben allen indigenen Ingredienzien genau jenen Schuss US-Amerika, der britische Verzopfung obsolet macht.

 

Die 700 Kilometer zwischen Melbourne und Sydney werden meist mit dem Flugzeug überwunden, doch die interessantere Route bietet die Eisenbahnstrecke, befahren von „Countrylink“-Zügen, in deren Erste-Klasse-Waggons sich sogar Duschgelegenheiten befinden. Von Melbourne Southern Cross bis Sydney Central bahnt sich der Zug mehr als zwölf Stunden lang seinen Weg durch Victoria und New South Wales – ohne Canberra zu berühren – entlang von Feldern mit Windrädern und Schafen, durch trockene Landschaften mit Orten namens Wagga Wagga, Cootamundra oder Yass Junction. Nach letzterem Städtchen gehen die moosbewachsenen grünen Steine über in Wiesen, anschließend in Hügellandschaften mit Bachbetten, aus denen Baumgerippe ihr Arme in die Höhe strecken.

Sydney Central, Bahnhof einer auch nach den Olympischen Spielen chronisch unterschätzten Weltstadt. Längst besteht das Bild der 3,8-Millionen-Metropole nicht mehr nur aus der „Kleiderbügel“ genannten Harbour Bridge und dem muschelförmigen „Sydney Opera House“ des Dänen Jørn Utzon, das 1973 nach endlosen Querelen eröffnet wurde, lange, nachdem sich der Architekt aus dem Projekt zurückgezogen hatte. Doch nicht die Gegend um den Circular Quay und den wunderschönen „Royal Botanical Gardens“ ist das Herz Sydneys, auch nicht der CBD, Central Business District, mit seinen verblüffend schlecht gekleideten Businessmen, die in ihren schwarzen Anzügen und Gummischuhen Billigschränken aus Skandinavien gleichen, sondern Stadtviertel wie Darlinghurst bei King´s Cross.

Wo früher die Prostitution regierte, da herrscht heute nicht nur Samstags – aber da besonders – ausgelassene Partystimmung. In Richtung Oxford Street auf der einen Seite, und gegen das wassernahe Viertel Wooloomooloo auf der anderen Seite, bieten indische, asiatische und britisch-australische Restaurants alles von Pubküche bis zu Meeresfrüchten, da ist oft auch der imposante einheimische Süßwasserfisch Barramundi zu finden. Dem australischen Klischee von Fastfood und Beerbelly entsprechend, florieren die Imbissketten. Der Hühnchenlieferant „Oporto“ ist populär für seine überraschend intensive Kräuter-Zitronensauce und amerikanische Burger gibt es bei „Hungry Jack´s“, der australischen Variante von Burger King.

Die Einheimischen trinken nicht nur Foster´s – immerhin ein Bier aus Melbourne – sondern Victoria Bitter, oft bestellt als „VB with a dash of lime“. Die Alkoholkultur von halbpuritanischer Tradition spiegelt sich nicht nur einer klar differenzierten Klasse von Obdachlosen, im Sommer kurzhosig, weißbärtig, und oft mit ihrem Gesamtbesitz gefüllte Supermarktwagen vor sich herschiebend, sondern auch in den humorigen Slogans der Off-Licence-Läden. “Beer me up, Scotty”, steht zu lesen, oder “Drink beer, save water”. Die kleinen Gummifiguren, die “den Australier” darstellen, mit T-Shirt, kurzen Hosen, Fettbauch und Bierkrug in der Hand, sind die andere Seite des Erbes, die Befreiung vom britischen Kulturgut. Men at Work drücken das so aus, „I come from a land down under / where beer does flow and men chunder”, und dieses “to chunder“, einst nur von wenigen Hörern verstanden, ist der australische Begriff für “kotzen, sich übergeben”.

 

Sydney steht bei Ordnungsliebenden im Ruf der tendenziell korrupten, etwas wilden, oberflächlichen Hauptstadt. Für die Besucher zeigt sie sich als freundliche, unbeschwerte Metropole, der das Sauertöpfische europäischer Großstädte ebenso abgeht wie der amerikanische Puritanismus und das asiatische Lautstärke-Chaos. Manche sagen zu recht, Sydney verstrahle das beste von drei urbanen Konzepten. Wer Bondi Beach kennt, die acht Kilometer vom Zentrum entfernte Copacabana Australiens, findet manche Vorurteile auf positive Weise bestätigt. Die braun gebrannten, fast ausschließlich männlichen Surfer mit den sonnengebleichten Bartstoopeln schieben ihre Bretter bei hohen Wellen, bewundert von einer Mädchenschar, in die Gischt. Der Strand mit seinen durch Fahnen eingegrenzten sicheren Badegebieten – es gibt gefährliche Strömungen – ist „alcohol free zone“, und das laut Metallschildern zumindest bis September 2009. An der Strandpromenade von Bondi gibt es indes alles, und dort, wo das Interesse an den Surfern nicht mehr so groß ist, wird auch alles getrunken.

Die leicht bekleidete Jugend mischt sich mit den etwas zugeknöpften asiatischen Touristen, und dazwischen hört man internationale Backpacker über ihr Hauptthema sprechen: wo und wie sie die vor wenigen Wochen erworbenen Vans wieder verkaufen können: „Travelling in a fried-out combie.“ Der marktgeregelte Spontankauf und -verkauf von Autos ist in Australien üblich, viele gehen vor Abreise mit dem Preis tief hinunter. Manche verlieren das Spiel und müssen ihre Vehikel unverkauft am Flughafen zurücklassen.

Ein Wanderweg führt den zerklüfteten Strand entlang, vorbei an Salzwasserbecken und Ozeanklubs, fünf Kilometer weit über den ruhigen Bronte Beach, am großen Friedhof vorbei bis zum Congee Beach, einer Stelle, an der alles viel kleiner ist. Diese Miniaturausgabe des lauten Bondi Beach bietet Gelegenheiten zum Picknick und einen Blick aufs offene Meer. Wer Glück hat, sieht bei einer solchen Strandwanderung die klassischen Spaßvögel Australiens: weiße Kakadus, die kreischend in Paaren herumfliegen, Unfug treiben, und einander bei den Landungen auf den Dachfirsten piesacken. Ein erfreulicher und opulenter Anblick bei einem VB und der über Sydneys Vorstädten untergehenden Sonne. „I said to the men, are you trying to tempt me?“, singen Men at Work seit 25 Jahren dazu, “because i come from the land of plenty.”

 

Anreise: Singapore Airlines fliegt zweimal täglich ab Wien via Frankfurt und Singapur nach Australien. Wer mit Singapore Airlines über Singapur hinaus zu einer weiteren Destination fliegt, kann ab 26 Euro pro Person im Doppelzimmer einen Stopover-Aufenthalt in Singapur einlegen. Inkludiert: Bustransfer zwischen Flughafen und Hotel, Stadtrundfahrt mit dem „Hop-on-Bus“ und andere Vergünstigungen. Informationen zum Stopover-Programm sowie Ticketbuchungen im Internet unter www.singaporeair.de, Hotline 0810/111213 oder in Reisebüros.

 

Zug Melbourne-Sydney: Countrylink operiert täglich zwei Züge von Sydney (7.45, 20.45) und Melbourne (8.30, 19.55) in die jeweils andere Stadt, Fahrtdauer ca. 13 Stunden, Nachtzüge mit Schlafwagen, www.countrylink.info, buchbar direkt auf der HP.