Bahamas

„Der Standard“, 18. November 2005

Martin Amanshauser war auf New Providence und auf Harbour Island, fand keine Kulturdenkmäler und Vulkane, sondern einsame Strände und ein Hotel, das selbst als Sehenswürdigkeit gilt.

Rosa Sand und gelbe Pfeffersaucen

Tourismus-Werbung für die Bahamas ist denkbar einfach: die Farbe des Ozeans. Dreißig bewohnte und 700 unbewohnte Inseln, gar nicht zu sprechen von mehr als zweitausend Riffinselchen, insgesamt 14.000 km2 ausschließlich flaches Land. Bahamas, das heißt nämlich: Keine spektakulären Kulturdenkmäler, keine Vulkane oder Wasserfälle, kaum kulinarische und Disco-Sensationen. Bahamas, das sind Strände, Strände und Strände. Viele unberührt, manche rosa Wasser. Das Wort „Bahamas“ leitet sich von „Baja Mar“ (spanisch) her, flaches Meer, treffende Bezeichnung für eine Welt, deren Höhepunkte unter der Oberfläche liegen: bunte Korallenriffe und „Blue Holes“, wie man die Tiefstellen nennt, Löcherlandschaften im Kalkstein, dunkelblaue Sprenkel im großen Türkis.

In der Hauptstadt Nassau, auf New Providence, lebt mehr als die Hälfte von insgesamt 300.000 Bahamiern. Der Bahamas-Dollar steht 1:1 zum US-Dollar und hier fließt er: „Cuban cigars, buddy?“, fragt ein Straßenhändler zwischen den Souvenir- und Ramschständen. Unter all dem Krimskrams stehen auch die legendären gelben Pfeffersaucen. Welche Sorte wird empfohlen? „Hey man, they all taste excellent!“, meint die Verkäuferin mit rauer Louis-Armstrong-Stimme – karibisches Laissez-Faire, knappe Bewegungen, jazzige Coolness.

Nassaus größte Touristenattraktion ist ein Hotel, der mattorangene Atlantiskomplex mit über 2.300 Räumen und vierzig Restaurants und Bars. Der Vergnügungskoloss liegt auf Paradise Island, einer über zwei Brücken erreichbaren Insel, die einst den unglamourösen Namen „Hog Island“ trug. Das Paradies kann auch per 3-Dollar-Fähre erreicht werden, auf der ein junger Entertainer im Stil eines Jahrmarktsausrufers Atlantis-Intima ausplaudert: so sei etwa die „Bridge Suite“, seufzerbrückenartige Verbindung zwischen zwei „Royal Towers“ in der Höhe des 20. Stocks, auf fünf Jahre ausgebucht, und sie koste 25.000 Dollar pro Nacht. Paradiese hätten eben ihren Preis. Andere Zimmer seien durchaus für Normalsterbliche erschwinglich, doch wie er seine Klientel kenne – jetzt grinst er die 3-Dollar-Passagiere frech an – zöge sie eher zum neuen, knallbunten „Marina Village“, einem Shopping- und Erlebnisdorf skandinavischen Baustils, und belege anschließend eine bezahlte Führung durch den Hotelkomplex. Die Reisenden lächeln betreten. Der Entertainer bittet um freiwillige Spenden.

Die Hallen des Hotel Atlantis wachsen fast in den Himmel, allein das Casino hat die Größe eines halben Fußballfelds, und in Aquarien-Korridoren wuseln unterirdisch 50.000 Lebewesen um die staunenden Gäste – der ganze Regenbogen tropischer Fische, inklusive Haifischen. Oben erstreckt sich eine künstliche Lagune zwischen dunkelroten Steinlandschaften. Rochen ziehen im hellblauen Teich ihre Runden. Die Schlange der Wartenden vor dem Inkatempel staut sich bis zum Barbereich: Kandidaten für die Giant Slides. Springbrunnen, Wasserspiele, Palmen – ein atemberaubender Park an Möglichkeiten, der familientauglichen Luxus mit Qualität und Gigantomanie verbindet. Nicht nur Urlauber, auch urbane Bahamier nehmen das Angebot wahr. Sie lieben ihr Atlantis und kommen wie selbstverständlich – unter anderem zum Heiraten – aufs Gelände. Wer es abgeschiedener, gediegener oder unamerikanischer möchte, bucht ohnehin im „One & Only Ocean Club“ einen Kilometer weiter östlich, wo die Butler nach Kirscharoma duften und endlos schwarze Limousinen über den Asphalt gleiten.

Vor einem halben Jahrtausend existierte hier eine völlig andere Welt. 1492 erreichte Kolumbus die Bahamas, und er fand friedliche Lucaya-Indianer vor. Viele der 40.000 Einwohner wurden zur Zwangsarbeit in die Minen von Hispaniola verfrachtet. Europäische Bakterien und Viren taten das ihre, vierzig Jahre nach der Ankunft der Eroberer war kein Lucaya mehr am Leben. Nur ein paar Wörter aus ihrer Sprache blieben: Avokado, Hurricane, Barbecue.

85% der heutigen Bevölkerung ist afroamerikanischen Ursprungs – mit der Sklavenzeit kam eine 325-jährige Vorherrschaft der Briten, die bis 1973 (Unabhängigkeit) dauerte. In den wilden Jahren eignete sich das Wirrwarr von Inseln mit Naturhäfen in versteckten Buchten fabelhaft für Piratenzwecke. Nassau beherbergte “Wreckers“, die Feuer entzündeten, um Leuchttürme zu imitieren und die Ladung Schutz suchender Schiffe zu konfiszierten. Gouverneure wurden zu Piraten, und umgekehrt. Hier wirkten Abenteurer wie „Calico Jack“ oder „Blackbeard“, der 1716 bis 1718 über Nassau herrschte, vierzig Großschiffe überfiel und erst nach Verabreichung von „fünf Pistolenkugeln und 20 Entermesserwunden“ starb.

Heute werden die Bahamas oft als Vorzimmer Floridas bezeichnet, und man trifft auf US-Höflichkeit in Reinkultur. Das ist für Mitteleuropäer äußerst erfrischend, kann allerdings manchmal überfordern, wenn etwa der Taxifahrer nach dem Dinner mitfühlend fragt: „How was your evening, man?“, und wenn der gleiche Mann nach angemessen positiver Antwort (dafür eignet sich: „Most amazing“) das Fazit für seinen Fahrgast zieht: „Now it´s time to go home and kick off your shoes, man!“

Umbenennung hat auf den Bahamas Tradition: was ehemals „Out Islands“ genannt wurde, heißt längst „Family Islands“. Eine davon ist Harbour Island, von New Providence in zwei Stunden Überfahrt zu erreichen: kilometerlange unberührte rosa Strände, Boutiquehotels, und eine Einmaligkeit: Für 30 Dollar pro Tag mietet man ein offenes Club Car zur Erforschung der Insel, und kann es den Einheimischen nachmachen: mit 20 km/h im Linksverkehr trinkt man hier ein Ice-Cream-Soda, isst dort eine Portion Conches (überbackene Meeresschnecken) und liegt zwischendurch im Sand, dort, wo niemand vorbeikommt, buchstäblich niemand.