Mauritius


„Der Standard“, 17. Jänner 2003

Martin Amanshauser war auf Mauritius vor allem unter Wasser: Er hat auf der Suche nach der schönsten Koralle einen Underwater-Walk unternommen, und danach hat er sein erstes U-Boot bestiegen.

Aus Wrack wird Riff

Mauritius gilt als jener geographische Ort dieses Planeten, an dem kein Einheimischer nachfragt, wie er einem gefällt. Na klar ist es schön im Paradies! Im Indischen Ozean, einen Daumenbreit rechts von Madagaskar, liegt die Insel von der Größe Vorarlbergs, ein Tintenfleck, von dem nicht nur Briefmarkensammler träumen. Hier findet man das bunte Korallenriff, die strohgelben Palmen, die frischen Zitronengetränke und all das, was die Fellnergruppe und die von ihr bearbeitete Welt ohne schlechtes Gewissen unisono unter dem Begriff “Traumurlaub” subsummiert.

Weil dem Traum ja gerne ein trügerisches Element beiwohnt, ist der Ankommende zunächst über die Authentizität der sich vor ihm ausbreitenden Traumwelt überrascht. Das hellgrüne und bacherlwarme Meer kommt zum Beispiel beängstigend nahe an jenes im Katalog heran. Natürlich bietet sich ein Vorarlberg mit feinen Sandstränden an den Rändern vor allem als Wassersportparadies an. Doch auch Besucher ohne entsprechende Ambitionen kommen auf ihre Rechnung: In Coco Beach (Ostküste) wird die familienfreundliche Variante von Scuba-Tauchen praktiziert, der sogenannte “Underwater-Walk”. Eine Glaskugel mit Atemluft über den Kopf gestülpt und an den Körper Gewichte als Ballast geschnallt, füttert man in wenigen Metern Tiefe die bunten Fischlein und ertastet die Gewächse der Unterwasserwelt mit klammen Fingern – alles gänzlich gefahrlos, unter Anleitung eines Führers.

Mulmiger wird dem Binnenmenschen beim U-Boot-Trip. Im Norden der Halbinsel, nahe der mondänen Bucht Grande Baie, betreibt “Blue Safari” zwei Submarines, die knapp außerhalb der Riffbarriere die Blauzone erforschen. Zehn Passagiere passen in den klimatisierten Schlauch mit Bullaugen und vollem Druckausgleich. Ein Hauch Kursk-Feeling kommt auf, als der Kapitän die Sicherheitsinstruktionen verlautbart: “Wie Sie sehen, bin ich das einzige Besatzungsmitglied. Falls ich ohnmächtig werden oder sterben sollte, muss einer von Ihnen das Ding an die Oberfläche bringen. Dafür drücken Sie bitte diesen Knopf und drehen hier die beiden Hebel nach oben.” Nach Verweis auf die Notatmungsgeräte, die aussehen wie überdimensionale Asthmasprays, sinkt das U-Boot gemächlich taumelnd in die Tiefe von 35 Meter hinab.

Allmählich gehen die Farben verloren, zuerst verschwindet rot, dann grün. Am Meeresgrund, im gefährlich tiefen Blau, herrscht unheimliche Stille. Kein Wellengang, feiner Sandboden und schwarzer Kalkstein. Gelbgraue Fische lösen sich aus den Schwärmen, die um Korallen schwänzeln, sie nähern sich neugierig den Bullaugen. Wenn das U-Boot versehentlich hart gegen den Rifffelsen ploppt, zucken die Meerestiere simultan zusammen, wie in einem Werbespot von Shell – es muss für sie in etwa nach einer mittleren Schießerei klingen. Der Höhepunkt der 45-minütigen Fahrt ist die Erkundung eines Wracks, das sich ebenfalls allmählich in Riff verwandelt, 1998 während einem Zyklon gesunken. Erschreckend rasch wurde das ausgeweidete Eisengestell zum verschlissen historischen Mikro-Lebensraum.

Die wirklich historischen Wracks der Blütezeit europäischer Seefahrt sind längst zu Sand zerrieben. 1510 hat der Portugiese Pedro de Mascarenhas die unbewohnte tropische Laguneninsel entdeckt, danach folgte die wilde Piraten- und Sklavenzeit unter holländischer und französischer Vorherrschaft, während der es den Europäern unter anderem gelang, den Nationalvogel Dodo auszurotten. Mit der britischen Herrschaft florierte im 19. Jahrhundert das Zuckerrohr, indische Plantagenarbeiter wanderten ein. Heute besteht die Bevölkerung der jungen Republik (seit 1968 unabhängig) mehrheitlich aus Indo-Mauritianern, dazu kommen afrikanische und madagassische Kreolen und 3% Chinesen. Letztere, vorwiegend kantonesisch, bevölkern Chinatown, das Herz von Port Louis.

Das Hauptstädtchen Port Louis, 170.000 Einwohner, ist im Kontext der Insel die Metropole. Nahe der mondänen Waterfront mit ihren Copycat-Designershops breitet sich der Zentralmarkt aus, mit seinen Ständen für kühle Vanillemilch und Tropical Juice. Dazu isst man gebackene grellgelbe Teigblättchen mit Chili. Von Schrumpelzucchinis über Knollenkarotten bis zu Wasserturtles werden hier die Besonderheiten der Zuckerinsel geboten – Handelssprache ist meist das nicht-offizielle Kreolisch, bei Bedarf sehr gerne auch Französisch, und immer noch halbwegs gerne Englisch.

Wer billige Markenprodukte möchte, sollte aber die 25 Kilometer nach Curepipe fahren, wo Ralph-Lauren-Outlets, direkt ab Fabrik, mit stürzenden Preisen locken. Die innerinsuläre Mobilität ist auf Mauritius beträchtlich, das Bussystem perfekt organisiert und fast gänzlich den Einheimischen vorbehalten. Charterpublikum und Rucksacktourismus gibt es nur marginal; denn die 1,2-Millionen-Einwohner-Insel hat sich der Qualität verschrieben und verzichtet auf das Ein- und Auspumpen des Massentourismusgeldes, das andere Staaten in die Krise treibt. An der Ostküste, nahe von Trou d´Eau Douce, liegen Hotels wie die legendäre Promiabsteige “Saint Géran”, aber auch das im Dezember 2002 neu eröffnete “Le Touessrok”, exklusiv für Besucher, die sich eine oder zwei Paradies-Wochen leisten möchten. Das Touessrok ist ein spektakuläres Design- und Erlebnisressort mit 3-etagigen Bungalows auf einer durch Holzbrücken mit dem Hauptgebäude verbundenen Insel, mit einem Givenchy-Spa und drei Privatbuchten.

Quasi zum Touessrok gehört die Privatinsel Ilot Mangénie mit ihrem Robinson-Buffet, erreichbar nach fünf Minuten Lagunenbootsfahrt. In abgezäuntem Raum leben hier ein paar Riesenschildkröten, garantiert älter als Johannes Heesters, die es lieben, wenn man ihnen die Haut am rauen Hals massiert (erkennbar am verzückten Flackern ihrer Augen). Die Ile aux Cerfs, gleich angrenzend, ist hingegen ein Picknickparadies für die lokalen Anwohner und Ausgangspunkt für alle denkbaren Wassersportarten.

Mauritius ist nicht nur wegen seinen beständigen Temperaturen, die sich nie ungebührlich weit von der 25-Grad-Marke entfernen, der ideale Boden für die Cocktail-Welt des Touessrok und seinen dezenten Luxus, der nicht peinlich ist, sondern Spaß macht. Natürlich hat das seinen Preis, aber Mauritius ist ohnehin kein Billigland. Wen es psychisch belastet, dass eine junge Dame mit Papiertaschentüchern zu den Strandliegen kommt und “Can I clean your glasses?” fragt, der kann sich ein rotes Do-not-disturb-Fähnchen in den Sand stecken und bleibt fortan unbehelligt.

Insel und Ressort werben gleichermaßen unverblümt mit der “genuine hospitality” der Mauritianer, gerade bei der Charakterisierung eines Volks mit Sklavereivergangenheit ein gut gemeinter, aber zweifelhafter Begriff; doch was der Besucher in Mauritius erlebt, ist tatsächlich eine unaufdringliche und warmherzige Offenheit, die den Slogan bestätigt und gleichzeitig obsolet macht. Die Leichtigkeit des Lebens erkennt man an Details. Es gibt wenig Orte, an dem man seine hoch gelagerten Füße so oft und gerne fotografiert. Gibts Einwände? Klar, Mauritius ist vielleicht nicht die Insel, auf der große Opern geschrieben werden. Mitten im Paradies fehlt irgendwie die Tragik.