Neuseeland

„Der Standard“, 21. April 2006


Untersuchungen an Schafen

Der neuseeländische Traum ist ein sanfter. Wiesen und Felder in abgestuften Grüntönen, Vulkanhügel mitten im Wohngebiet, insgesamt sollen achtundvierzig Vulkane im erweiterten Stadtgebiet von Auckland existieren. Mit seinen 1,3 Millionen Einwohnern ist Auckland die einzige Metropole der beiden Inseln, aus denen Neuseeland besteht. Das Land der Antipoden, in Europa weitgehend außerhalb des Wahrnehmungsbereichs, sieht man davon ab, dass jeder weiß, der „Herr der Ringe“ ist dort gedreht worden, ist immerhin größer als Großbritannien, und es hat den üblichen Minderwertigkeitskomplex kleiner Brüder: „I support two teams, New Zealand and anyone who plays Australia“ heißt die Aufschrift auf dem populärsten T-Shirt des Landes.

Der jüngste der frischen Vulkane AUCKLANDS ist erst 600 Jahre alt, er schuf Rangitoto Island, eine dunkelgrüne Kuppe im Meer. Die Erhebung misst immerhin 260 Höhenmeter. Rangitoto bedeutet in der Sprache der Maori „blutroter Himmel“. Der tollste Aussichtspunkt liegt noch näher, Mount Victoria bei Devonport, mit einer 12-Minuten-Fähre und einem steilen 10-Minuten-Aufstieg erreichbar. Das grüne Gras auf der schwarzen Vulkanerde ist am Mount Victoria so dicht, dass man Lust kriegt, hineinzubeißen. Ein mild geschwungenes Plateau bietet nach jeder Seite, 360 Grad, spektakuläre Szenerie – gegen Süden hin die Skyline mit dem 1997 eröffneten Sky Tower, dem mit 328 Metern höchsten Gebäude der Südhalbkugel, in den anderen Himmelsrichtungen die umliegenden Vulkanhügel und Vulkaninselchen. Auf solchen Erhebungen hatten die Maori ihre sogenannten „Pa“ gebaut, befestigte Urbankerne einer uneuropäischen Frühzeit.

Diese liegt im Dunklen, doch fest steht, dass die erste Besiedlung vor dem Jahr 1200 von polynesischen Pazifikinseln aus stattfand. Die riesigen und gar nicht scheuen Moa, flugunfähige Vögelkolosse von 250 Kilogramm, wurden von den Polynesiern gejagt, ab dem 14. Jahrhundert waren sie ausgerottet. Dafür überlebte eine Spezies, die heute das Nationaltier ist: der Kiwi, ebenfalls ein Laufvogel, deutlich kleiner als der Moa, ein monogamer Allesfresser mit plumpem Körper, der sich gerne im Gleichgewicht hält, indem er sich auf seinen Schnabel stützt. Der Kiwi ist berühmt für seine schrillen Pfiffe, die er nachts ausstößt, er macht das quasi ununterbrochen, außer bei Vollmond. Um ihn zu jagen eigneten sich die Maoris spezielle Techniken an, unter anderem beherrschten sie die Imitation der Kiwi-Pfiffe. Seit 1921 steht der Kiwi unter Naturschutz, 20.000 Kiwis leben in diversen Rückzugsgebieten, in den Wäldern hinter den grünen Wiesen mit den Schafen, die mehr als 20.000 sind.

Die heutigen Neuseeländer – weltweit inflationär als „Kiwis“ bezeichnet – kostet es immer Kraft, den verzwickten Zusammenhang mit der Kiwifrucht aufzuklären, obwohl sie es regelmäßig und gerne tun: Die Kiwi stammt aus Südchina, hieß dort „Chinesische Stachelbeere“, ihr Samen wurde von einer neuseeländischen Chinareisenden 1906 heimgebracht, später großflächig angebaut und unter dem Namen „Kiwifrucht“ vermarktet. Heute sind die Kiwis der weltweit größte Exporteur von Kiwis, die Frucht ist populärer geworden als das Nationaltier, aber in den Supermärkten sieht man paradoxerweise kaum Kiwis.

Eigensinn ist tief in der Geschichte Neuseelands verankert – im Jahr 1642, beim ersten Versuch, auf Neuseeland Fuß zu fassen, scheiterte Abel Tasman, der das „Große Südland“ gefunden haben wollte. Maoris kamen den holländischen Entdeckerschiffen in Kanus entgegen, die sozialen Codes zwischen Eingeborenen und Europäern stimmten nicht überein, was für die einen ein freundschaftliches Signal war, deuteten die anderen als Feindseligkeit. Bilanz: Vier Europäer wurden erschlagen. Angewidert suchte Abel Tasman das Weite, und 127 Jahre lang setzte kein Europäer mehr Fuß auf die Inseln – die aber seitdem als „Nieuw Zeeland“ auf Karten verzeichnet waren. Britische Kronkolonie wurde das Land erst 1840 durch den Vertrag von Waitangi, der sowohl Maoris als auch Briten Vorherrschaft versprach und in ein kriegerisches 19. Jahrhundert mündete.

Davon merkt man in der größten Stadt des Landes heute wenig. Wären die Aucklander Badefreunde, würden die Stadtstrände aus allen Nähten platzen, aber sie sind es einfach nicht. Sommerurlaub verbringt man im Norden der Nordinsel, und man schwimmt ungern: In Neuseeland werden vor allem Extremsportarten betrieben. Deshalb sind Buchten wie der kleine Muschelstrand „Ladies Bay“ bei St. Heliers, in Autobusdistanz vom Hafen, auch an Sommertagen nie überlaufen. Die Damenbucht bietet den Badegästen die einmalige Gelegenheit, am Sandstrand auf einem kleinen Wiesenstreifen zu liegen. Ein paar Schritte Richtung Meer reißt das Gras ab, der Sand geht über in bunten Muschelbruch.

Das Besondere an Neuseeland liegt weder in den Städten noch an den Stränden. Um das Land zu sehen, fährt man zum Beispiel innerhalb von zwei Tagen mit der Eisenbahn von Auckland (Nordinsel) nach Christchurch (Südinsel). Der „Overlander“, ein Panoramazug von charmanter Verblichenheit, verlässt auf seiner Schmalspur die Metropole jeden Morgen um 7.25 Uhr, eine Fahrt gibt Einblicke in ein Land, in dem Schafe vorherrschen. Weit und breit keine Kiwi (Frucht) und kein Kiwi (Vogel). 60 Millionen Schafe soll es vor zwanzig Jahren gegeben haben, heute sind es „nur noch“ 40 Millionen, die 4 Millionen Menschen gleichsam gegenüberstehen. Die landwirtschaftliche Tendenz geht in Richtung Diversifikation, Obstplantagen, Olivenbäume und Weinreben florieren, der lokale Sauvignon Blanc ist weltberühmt. Allein die Schafe, immer noch im Überangebot, stehen wie weiße Punkte im Grün.

Während man im „Overlander“ Forschungen über die Verhaltensweisen australischer Pensionisten betreiben kann, so herrschen jenseits der Scheiben ideale Bedingungen für Schafbeobachtung. Immer wieder galoppieren einzelne Schafe oder kleinere Schafgruppen angesichts der herandonnernden Eisenbahn von der Trasse weg, ihre weißgrauen Hintern präsentierend. Andere bleiben seelenruhig stehen – offenbar die erfahreneren oder cooleren Schafe – lassen Lärm und Wind über sich ergehen, ohne ein Ohrläppchen zu rühren. Weiter von der Trasse entfernte grasen desinteressierte Kollegen. In der Schafswelt herrscht wenig Bewegung. Selten geraten zwei Schafe aneinander, aber dann geht es rund, alle anwesenden Artgenossen bilden einen Zuschauerkreis.

Neuseeländischen Forschern ist es jüngst gelungen, das Renommee des zweiten Nationaltiers wieder herzustellen – wird das Schaf in Brehms Tierleben noch diffamiert („seine Furchtsamkeit ist lächerlich, seine Feigheit erbärmlich“), so weiß man heute, dass es sich bis zu hundert Gesichter von Artgenossen merken kann.

Bei Sonnenuntergang erreicht der Zug Wellington, die Hauptstadt an der Südspitze der Nordinsel, die rund um eine Bucht hügelig in Landesinnere wächst – auch hier Erdbebengebiet, wobei die Erschütterungen des Jahres 1855 Ausschlag für eine groß angelegte Landreklamation gaben. Wellington ist trotz seiner nur 200.000 Einwohner die Kultur- und Nachtlebenstadt Neuseelands, berühmt für das 1998 an der Waterfront eröffnete Nationalmuseum „Te Papa“ mit interaktiver Schilderung der Land- und Seegeschichte. Nicht weit von hier legen die Fähren ab, die das verschlafene Picton auf der Südinsel ansteuern. Von dort fährt ein weiterer Panoramazug, der „Tranz Coastal“, nach Christchurch, in die dritte Großstadt des Landes.

Auf dem Weg nach ins saubere, britische und vielleicht auch etwas langweilige Christchurch wird die Landschaft wieder dramatisch. Entlang der Küste liegen Robben faul auf den Felsen, und an Küstenorten wie Kaikoura kann man Walbeobachtungstouren unternehmen und mit Delphinen schwimmen. Hier treffen sich kalte und warme Strömungen, das Wasser schimmert oft grün bis rot bis blau von Krillschwärmen, auch Leuchtgarnelen genannt, ein Zooplankton, das Wale und Robben lieben. Die Spezialisten erläutern, dass Krill Leuchtorgane besitzt, dass sein Magen durch die Haut schimmert.

Hinter Kaikoura biegt die Eisenbahn ins Landesinnere, durch die grellen, schrillen, matten und gedeckten Grüntöne, wie man sie sonst nur von Äquatorinseln wie Java kennt, schlängelt sich immer wieder durch wilde Gebiete, vorbei an Farnhainen und an Schafen und Schafen. Denn die Vorherrschaft bei den Kiwis haben die Schafe noch lange inne.



Der Autor flog mit Singapore Airlines (SIA). SIA fliegt zweimal täglich ab Wien via Frankfurt und Singapur nach Neuseeland. Wer mit SIA über Singapur hinaus zu einer weiteren Destination fliegt, kann ab 22,50 Euro pro Person im Doppelzimmer einen Stopover Aufenthalt in Singapur einlegen. Hotel Pan Pacific, 7 Raffles Boulevard, Marina Square, Singapore, www.panpacific.com. Besonderes Special: Kostenlose Übernachtung für Fluggäste die von Australien und Neuseeland kommend den Rückflug von Singapur auf der Mittagsmaschine SQ 326 gebucht haben. Infos zum Stopover-Programm sowie Ticketbuchungen unter www.singaporeair.de, Hotline 0810/111213 oder in Reisebüros.

Zwischen Auckland und Wellington verkehrt der „Overlander“ (12 Stunden), zwischen Wellington und Picton die „Interisland Ferry“ (unter 3 Stunden), zwischen Picton und Christchurch der „TranzCoastal“ (7 Stunden), Reservierungen für die Züge bei „Tranz Scenic“, www.tranzscenic.co.nz, bookings@tranzscenic.co.nz, +64/4/4950775.

Wellington: Wellesley Hotel, 2-8 Maginnity Street, PO Box 308, Wellington (über dem Lambton quarter), www.thewellesley.co.nz, reservations@thewellesley.co.nz, +64/4/ 4731913.