Obertauern – Österreich

 "Die Presse" 2009

Legende Obertauern: Keine Talbeförderung

 

Schlepplift Gamsleiten 2, das war weit über Obertauern hinaus eine Legende. Doch hat der Berichterstatter im Jahr 2008 absolut keine Hoffnung, die wildeste Liftanlage seiner Schulschikurs-Zeit in den Achtziger Jahren vorzufinden. Gamsleiten 2, denkbar steilster Schlepplift der Welt, das war ein Heldenepos. So richtig kriminell. Der fast vertikale Anstieg sorgte auch bei Geübten für Adrenalinschübe, denn das gemeinsame Gewicht zweier Schikursteilnehmer reichte damals gerade aus, um nicht gen Himmel zu fliegen – die permanente Furcht untergewichtiger Schleppliftbenützer.

Obertauerns Gamsleiten 2, Inbegriff für Verwegenheit auf der Höhe von 2.300 Meter, wird in der Gegenwart natürlich per Sessellift bewältigt. Aus bequemen Sitzen kann man den Hang in aller Ruhe bewundern. Und der bedeutet, wenn auch bereinigt von den Buckeln der einstigen Buckelpiste, weiterhin Herausforderung, immerhin handelt es sich laut Schilehrer Harry um „die zweitsteilste Piste in den Alpen.“ Jeder Besucher will diese schwarze Strecke mit 100 Prozent Gefälle einmal bezwungen haben. Allerdings dürfen oben angekommene Entschlossene keinen Rückzieher machen. Wie steht es so schön auf vielen von Obertauerns Aufstiegshilfen? „Keine Talbeförderung.“

 

Harry selbst ist nicht aus Obertauern – wer ist das schon? bei knapp dreihundert eingesessenen Bewohnern – aber er übt den Schilehrerberuf in den Radstädter Tauern seit 21 Jahren aus. Kennt jeden Stein, besser gesagt, jeden Schneemann: denn  Steine kommen nur alle Jubelwinter zum Vorschein. Das hängt mit der sprichwörtlichen Schneesicherheit zusammen, handelt es sich doch um ein Ortsgebiet, dessen niedrigster Punkt auf 1.630 Metern liegt. Der Schiort, bei näherer Betrachtung eine ungeheure Gebirgsscharte, ist nicht unbedingt für ewige Sonne berühmt, doch er liegt günstig geschützt: apere Pisten sind ein Fremdwort. Sommerliche Kehrseite der Medaille: auch im August gibt es gelegentlich Schneekettenpflicht.

Harry hat sich eingelebt: „Vielleicht mach ich irgendwann was anderes als Schilehrer, aber jetzt einmal passts.“ Dass es passt, ist sein großes Bestreben, auf seinen Routen, die „Tauernrunde“, und die Befahrung der „Top Seven“, der sieben höchsten Gipfel. Um die zu absolvieren, übt Harrys seine Schüler in positivem Denken: „Was, das nennts ihr Nebel? Solange man seine Schispitzen sieht, spricht man in Obertauern von guten Wetterbedingungen.“ Und solange der Schnee von der Seite kommt: eh alles normal!

Doch natürlich gibt es auch die makellosen Tage, die das Tauernpanorama inklusive Bischofsmützenblick zur Geltung bringen. Wenn nicht – dann deutet Harry mit entschlossener Handbewegung in die verschleierte Landschaft: „Da vorne, das prächtige Panorama – kann des wer sehen?“

 

Die Schneesicherheit ist auch der Grund für den historischen Zwischenfall namens Beatles. Für den Film „Help!“ (auf Deutsch „Hi-Hi-Hilfe“), suchte Regisseur Richard Lester 1965 einen Ort, der noch im Spätwinter gute Drehbedingungen im Schnee bot. So kam die berühmteste Rockband der Geschichte für zwei Wochen vorbei. Das einzige Beatles-Konzert in Österreich fand daher in Obertauern statt – eine spontane, zweistündige Hotelshow für Freunde und zufällig Anwesende.

Dass bei den anschließenden Feiern ein hoteleigenes Klavier zerstört wurde, steht auf der Verlustseite, im Positiven ist zu vermerken, Obertauern zehrt beharrlich vom Beatles-Ruhm. Noch immer erzählt der eine oder andere ältere Herr in den Dorfgasthäusern von der aufregenden Woche, als er George Harrison oder Paul McCartney doubelte. Doubles waren nötig: Die Pilzköpfe aus Liverpool konnten nicht wedeln. Und sie mussten ja laut Filmhandlung auf den Brettern vor zwei Wissenschaftlern flüchten, die die Welt beherrschen wollten.

1965, das war knappe drei Jahre nach der Geburtsstunde Obertauerns: „Ein Ort entstand aus dem Nichts“ ist der Titel einer Chronik. Denn früher hatte es auf der Passhöhe keine Besiedlung gegeben, man nannte die Gegend einfach „Radstädter Tauern“, und man kannte sie vor allem wegen dem „Friedhof der Namenlosen“. Dort wurden im Sommer die Skelette jener oft Unbekannten begraben, die bei der riskanten Passüberquerung in Schnee und Eis erfroren waren, auf einer Strecke, über die schon die Kelten Karrenwege gebaut hatten. Später verlief hier eine der bekanntesten römischen Bergstraßen Europas. Wagengeleis-Trassen zeugen ebenso von ihr wie eine große Anzahl römischer Meilensteine, instand gesetzt für einen angekündigten Inspektionsbesuch des Kaisers Septimus Severus, der letztlich nie stattfand. Im Mittelalter folgten Säumerkarawanen der historischen Route: Salztransport von Salzburg nach Italien, Wein in umgekehrter Richtung.

Seit den Zwanziger Jahren betrieben Menschen am Tauern Schisport. Am Seekarhaus, heute berühmt für seine raffinierte Küche, nahm die erste Aufstiegshilfe 1947 ihren Betrieb auf: ein Seil mit Knöpfen zum Anhalten, angetrieben von einem Dieselmotor. In jener pistenraupenfreien Epoche wurde die Piste von Freiwilligen selbst getreten, wer eine Stunde trat, erwarb damit das Recht auf drei Freifahrten.

Das Konzept „Obertauern“ begann, wie die Beatles, in den Sechziger Jahre zu florieren – die Zeit der Schulschikurse brach an, Hotels schossen aus dem Boden, die Besiedlung wurde dicht, doch eine Gemeinde entstand trotzdem nicht. Bis heute liegt Obertauern auf zwei Gemeindegebieten und lebt mit der kuriosen Situation, zwei Bürgermeister zu haben. Natürlich auch zwei Autokennzeichen! TA für Tamsweg im Lungau, JO für St. Johann im Pongau. Die Dualität der örtlichen Verwaltung hat die eine oder andere lokale Besonderheit hervorgebracht, etwa im unterschiedlichen Stil der Straßenbeleuchtung.

 

Seit den gloriosen Zeiten hat sich in Obertauern einiges verändert, auch wenn Salzburgs mondänstes Schigebiet sich trotz einer Liftkapazität von knapp 50.000 Personen pro Stunde seinen Charme erhält: im Wohlfühlzeitalter wurde zeitgemäßer Komfort durch recht behutsame bauliche Investitionen sichergestellt. Man will auch das seltene Rotsternige Blaukehlchen schützen, das hier brütet, das aber die wenigsten Einheimischen je sahen. Österreichs fünftgrößter Schiort verzichtet demnach auf Wucherungen: jedes Hotel hat, ganz wie früher, direkten Pistenzugang. Heute sind die Lifte das größte Geschäft – sie befinden sich nicht in der Hand der Gemeinde(n) oder eines Investors, sondern gehören einheimischen Familien. Eine Liftgemeinschaft verteilt die Gelder gemäß der Auslastung. Zu dieser Grundstruktur passt, dass im Ortskern kein Partywahnsinn tobt, auch wenn es in der „Lürzer Alm“ im Stadtzentrum nach Mitternacht ziemlich rund gehen kann.

Mittendrin gibt es eine Menge Oasen, die abseits des Après-Ski die Qualität pflegen. Da ist der Sonnhof, dessen Familie nicht nur Küche auf allerhöchstem Niveau, sondern auch den Schirennläufer Heinz Schilchegger hervorbrachte. Etwas abseits gelegen, kann man das Gasthaus nur via fackelbeleuchteter Schneewanderung oder eben mit der Schneekatze erreichen. Und oben, in der Mulde gleich neben dem Seekarhaus, lockt der Wirt der „Dikt´n Alm“ mit sieben hausgemachten Schnäpsen. Seniorchef Benedikt lässt sich gerne auf philosophische Gespräche über seinen Walnuss-Schnaps ein: „Der ist gut für die Seele. Wenn was nicht in Ordnung ist, trinken wir den, damit sich die Seele wieder ein´draht.“

 

 

 

Obertauern  (www.obertauern.com) ist ein Schigebiet an der Grenze von Salzburgs Pongau und Lungau, mit 28 Liftanlagen und ca. 100 Kilometer Pisten. Legendär ist die „Tauernrunde“ oder die „Super Seven“, bei denen man sieben Gipfel skifahrerisch bewältigt. Einst war Obertauern für Schikurse bekannt, später für exzessives Après-Ski- und Nachtleben, in den letzten Jahren präsentiert er sich auch als Winterziel für Familien mit Kindern.

Latsch’n Alm, im Ort, einer der Après-Ski Dreh- und Angelpunkte in Obertauern. Im Latsch’n Schirm ist Körperkontakt ein gewolltes Gefühl. Latsch’n Alm heißt das gemütliche Abendrestaurant mit traditioneller und internationaler Küche. Spezialität: der „Tatarenhut“, eine Art Fleischfondue. An die Flanken eines von unten befeuerten Metallhutes pinnt man die Fleischstücke und begießt sie mit Suppe, damit sie saftig bleiben, www.latschnalm.at

 

Lürzer Alm, im Ort, bietet das perfekte Après-Ski im Stadtgebiet, auf verscheidenen Ebenen, internationales Publikum, Diskostimmung der raueren Sorte, www.luerzer.at

Seekarhaus, am Berg, in Obertauern auch Seekarhütte genannt, ehemaliges Alpenvereinshaus, heute ein 4-Sterne-Superior Hotel mit höchsten gastronomischen Ansprüchen. Gemütlich, historisch, authentisch, Wirt Gerhard Krings war einst ein Double von George Harrison, www.seekarhaus.at

Dikt'n Alm, am Berg, gleich neben dem Seekarhaus, ist eine Kombination aus alter Bauernstubengemütlichkeit und moderner Gastronomie. Selbstgebrannte Schnäpse des Senior-Wirts, www.diktnalm.at

Berghotel Sonnhof, am Ortsrand, einziges 4-Sterne- Hotel von Obertauern, mit Hüttenatmosphäre, offener Kamin, unerreichbar per Straße. Ankömmlinge werden mit den Skidoo oder mit dem Pistebully abgeholt. Das Haus liegt an der Piste der Sonnenkopfbahn (guter Einstiegspunkt für die Tauernrunde). Die Gastgeberfamilie Schilchegger pflegt ihre Gastronomie mit Engagement und Fachwissen, www.sonnhof.com