Martin Amanshauser

Die Früchte des Zahnbürstenbaums

Von senegalesischer Mbalax und Politik – und wieso dort alle „wow“ sagen – ein Ausblick aus Dakar ins Land.

Für „die Dakar“ wurde Dakar weltbekannt, doch seit 2007, als die „Al-Kaida im Maghreb“ – ob es diese Organisation nun tatsächlich gibt oder nicht – vier Franzosen ermordete, findet die berühmteste Rallye der Welt nicht mehr in Afrika statt. Für die Natur ist das kein Schaden, auch ist durch das Fehlen der PS-Giganten kein grober soziokultureller Verlust zu verzeichnen. Doch was macht Dakar, die wohlhabendste Stadt der Region, das „west african Dubai“, eigentlich ohne die Dakar?

Es stürzt sich täglich in den abenteuerlichsten Karneval der Farben. Schon die Strecke vom Flughafen ins Zentrum wirkt wie eine Rallye des Nachtlebens. Mondäne Discos und internationale Restaurants schießen neben guten alten Lebensmittelgeschäften aus dem Boden. Im Zentrum und der Medina dröhnen Senerap und Mbalax (gesprochen Mbalach) aus den vollgepackten Nachtklubs. Der Trubel erreicht erst nach Mitternacht seinen Höhepunkt – die Mehrheit der Bevölkerung lebt nach den Regeln des sunnitischen Islam, aber in seiner afrikanischen Interpretation.

Locations wie „L´Africa Star“ oder „Just 4 U“ treiben die Livemusik in den Morgen. Der Lokalmatador steht selbst auf der Bühne – in seinem Klub, dem „Thiossane“. Neben den Fußballstars ist Youssou N´Dour der populärste Senegalese. 1994 wurde er mit dem Hit „7 Seconds“ weltberühmt, und eigentlich wollte er bei den Präsidentenwahlen gegen den 85-jährigen Amtsinhaber Abdoulaye Wade kandidieren. Doch das Höchstgericht lehnte seine Unterstützungserklärungen ab und schloss den Sänger von der Wahl aus.

Dakar, das bedeutet neben dem Mbalax-Rhythmus und der lokalen, weltberühmten Couture immer auch Politik. Keine schlechte – der westafrikanische Staat steht für Demokratie und Meinungsfreiheit. Abdoulaye Wade hätte nach zwei Legislaturperioden eigentlich selbst nicht kandidieren dürfen. Der Übervater sah das anders, trotz Protesten und Ausschreitungen zog er im Februar als Stimmenstärkster in die Stichwahl ein, verlor jedoch gegen den früheren Premierminister Macky Sall (der von Youssou N´Dour unterstützt wurde).

Kontakte und Fische. Die Place d´Indépendance hat alles, was afrikanische Städte mühsam macht: Staub, Hitze, Verkehrschaos. Auto vor Fußgänger, aufdringliche Verkäufer. „Monsieur, kommen Sie, ich zeige Ihnen meinen Shop!“ – „Danke, ich will nichts kaufen.“ – „Ah, verstehe, Sie sind Rassist, Sie mögen schwarze Menschen nicht.“ – „Doch, ich mag schwarze Menschen!“ – „Sieht aber momentan nicht danach aus!“ Irgendwann müssen beide Seiten losprusten und klopfen einander mit weit ausholenden Schlägen auf den Rücken. Nun kann es zum Kauf von Socken, Wandteppichen, Sim-Cards, Holzgiraffen oder den kleinen „Car rapides“ kommen, das sind hölzerne Nachformungen des senegalesischen Hauptverkehrsmittels, des Kleinbusses. Andere Leute, andere Kontakte: Ein rundköpfiger, 75-jährige Deutscher sitzt am südlichen Ende des Platzes im „L´Imperial“, umringt von drei schwarzen Schönheiten, denen er die Cola zahlt, während er nicht den geringsten Zweifel an seiner Erektionsfähigkeit ausstrahlt.

Etwas nachhaltiger können Besucher ihre Scheine im Gemüse- und Fischparadies anlegen, in der Halle des Marché Kermel, gänzlich wiederaufgebaut nach einem Brand 1997. Garnelen in allen Größen, Kapitänsfisch, Papageifisch; Ingredienzien für das Nationalgericht Tiebou Diène (Reis mit Fisch) oder das marinierte, gebratene Yassa Chicken; und Baguettes, die schmecken wie aus dem 5. Arrondissement.

WOW! Allgegenwärtiges „Wow“, man hört das Wort überall, schreiben würde man es allerdings „Waaw“. Es heißt auf Wolof nichts anderes als Ja. Die Senegalesen verständigen sich auf Wolof, für 40% ist es die Muttersprache. „Wow“ könnte einem auch entfahren angesichts des „Monument de la Renaissance Africaine“ auf einem Hügel am Stadtrand. Anstrengende Skulpturkunst: 11x18 Stufen führen zum idealisierten Bronze-Kupfer-Gebilde, Mann, Frau und Kind strecken ihre Luxuskörper der Sonne entgegen. Das Riesending, höher als die Freiheitsstatue, wurde mit nordkoreanischem Know-How errichtet. Nachts bringt es die Zuschauer sogar zum Schmunzeln, weil auf den Scheiteln der Helden rote Flugzeuglichter blinken – Humor aus Nordkorea? Ex-Präsident Wade reklamiert das geistige Copyright für sich und nascht zu 35% an den Einnahmen mit.

Unten sitzen ein paar Militärs in einem Kobel, der mürrische Chef macht sich einen Spaß daraus, Touristen die Filmkamera zu konfiszieren – man durfte laut seinen Angaben zwar fotografieren, aber nicht filmen – und erst gegen empfindliche Schmiergeldzahlung wieder herauszurücken. „Eines möchte ich schon sagen“, gibt er beim Einsacken des Geldes zu Protokoll, „wir haben hier in Senegal Gesetze, und die halten wir ein – das läuft ähnlich, wie ihr das in Europa gegenüber Afrikanern macht.“

Der Sinn des Siwak. Schauplatz Cathédrale du Souvenir African, die 1929 von den Franzosen errichtet wurde: Jeder zwanzigste Senegaler ist Christ. Wenn interkonfessionell geheiratet wird, nimmt eben einer die Religion des anderen an. Der Volksglaube geht ohnehin tiefer. „Wir sind 95% Muslime und 5% Christen, aber 100% Animisten“, so drücken sie das aus.

Ein dünner, großer Einheimischer trägt eine Schachtel Hölzer auf dem Kopf. Der Fototraum jedes Touristen. Doch was macht der Mann? Holzöfen werden ja keine betrieben … ach stimmt, das sind Miswak (auch Siwak genannt), Zahnputzhölzchen. Sie stammen vom Zahnbürstenbaum – heißt tatsächlich so – dessen Zweige aufgrund ihres hohen Fluorgehalts zur Mundreinigung verwendet werden. Doch der Dakarer Zahnputzholzmann will seine Zahnbürsten nicht verkaufen: er stellt sich gegen Entgelt als Fotomodell vor der Kathedrale zur Verfügung. Und er achtet darauf, dass ihn niemand aus dem Hinterhalt heranzoomt.

Wer würde nach einem solchen Deal nicht erschöpft sein! Gegenüber der Kathedrale liegt eine traditionelle Pariser Patisserie „Laetitia-Lutetia“, geführt von der freundlichen Madame Laetitia, möbliert mit roten Plüschbänken und -hockern, die um einfärbige Dreiecks-Tische in rot, gelb, türkis, blau stehen. „Tout au beurre – Chocolatier – Glacier“ ist das Motto, doch auch die hauchdünne Pizzaschnitte schmeckt ausgezeichnet.

Sklaven oder doch nicht? 25 Minuten auf einer Fähre namens „Beer“, durch ein vom Harmatan, dem Saharawind, aufgewühltes Meer: die Insel Gorée ist Dakars vorgelagerte bittere Idylle, weiße Touristen beklagen hier das Sklavenschicksal und holen sich durch gutes Benehmen (Kunsthandwerkskauf) die Absolution. Die „Maison des Esclaves“ präsentiert sich als ehemaliger Sklavenumschlagplatz, ist jedoch, historisch betrachtet, ein einfaches Bürgerhaus.

Entdeckt von Marokkanern, erobert von Portugiesen, abwechselnd bewirtschaftet von Briten und Franzosen, repräsentiert Gorée die verschlafene Gegenwelt zum immer hellwachen Dakar. Sandstraßen bis zum Kastell, Bauten aus dem 17. und 18. Jahrhundert, ein Sandfußballplatz, in dessen Strafraum ein Baobab-Baum wächst. Die tragische Geschichte der Sklaverei, die auch Gorée berührte, fand laut neuesten Erkenntnissen in großem Ausmaß nicht hier, sondern im Hafen von Saint-Louis und im Golf von Guinea statt.

Landeinwärts von Dakar befindet sich eine andere Einzigartigkeit, der Lac Rose, um den vor wenigen Jahren noch die Rallyeautos rasten. Der Salzgehalt ist so hoch, dass er dem Toten Meer ähnelt, der rosafarbige Schimmer in der Trockenzeit ist keine optische Täuschung: Eine Blaualgensorte schützt sich mit rosaroten Pigmenten gegen den Salzgehalt.

Toleranz als Geldquelle. Senegal hat die zweitseltsamste Form aller Länder. Gambia, das Land mit der seltsamsten Form, steckt wie ein Schnabel in seinem Gebiet, das halb so groß wie Deutschland ist. Südlich von Gambia liegt die offiziell schwer bereisbare Casamance, die um Autonomie kämpft. Tourismus spielt sich ausschließlich im Norden ab, sei es in der alten Hauptstadt (bis 1902) Saint-Louis, die als eine der sattsam bekannten „Venedig von …“-Metropolen gilt, in diesem Fall von Westafrika, denn sie liegt auf einer Insel und ist nur über eine Brücke zu erreichen.

Ganz anders, und doch nach dem gleichen System, funktioniert der Doppelort Joal-Fadiouth, 100 Kilometer (einen Tagesausflug) von Dakar entfernt. In der Umgegend findet man depressive Esel, joggende Hundeflotten und wilde Mülldeponien. Natürlich auch Salzgewinnung, doch die Felder bei Djifer, die bei Ebbe Salz aufnehmen, sind enorm, der Salzpreis niedrig. Die Einheimischen erarbeiteten sich eine sympathischere Geldquelle: In Joal am Festland leben islamische Serer, auf der nicht-motorisierten Insel Fadiouth, erreichbar über lange Holzbrücken, vorwiegend Christen. Ein Heer offizieller Guides erzählt jedem, als wäre es eine Weltsensation, wie gut die Religionen zusammenleben.

Zum Besuch gehört ein Abstecher zum Friedhof von Fadiouth, wo die muslimische Minderheit und die christliche Mehrheit Seite an Seite liegen. „Cimitiere Mixte Musulman-Chrétien” steht auf einer Art Ortsschild. Von hier stammt der erste Präsident des Landes, Léopold Sedar Senghor (1960-80), einer der Mitbegründer der Négritude, die den postkolonialen Afrikanern neues Selbstbewusstsein geben sollte. Er selbst, als Lyriker und Publizist eine schillernde Figur, wurde als erster Afrikaner Mitglied der Académie française.