Tunesien

 "Die Presse" 2007

Die grünen Hügel Afrikas

Viele Leute haben Tunesien betreten, aber wenn man genauer nachfragt, kennen sie es nicht. Vielleicht, weil der Süden des Landes eine perfekte Strand- und Klubkultur bietet, ein gigantisches All inclusive keine Wünsche offen lässt – und auch keine erzeugt. Doch Tunesien bietet nicht nur Djerba, Monastir und Hammamet, sondern auch Kultur und Natur, und zwar an der nördlichen Mittelmeerküste.

Da wäre zunächst einmal Bizerte, eine 100.000-Einwohner-Stadt mit Medina, Strandpromenade und französischer Neustadt. An den alten Hafen mit den Fischerbooten grenzt der Yachtbereich, wo die das nicht ganz so reiche europäische Jet-Set aufgrund der günstigen Hafengebühren gelegentlich Boote unterstellt. Im 16. Jahrhundert trieben vor dieser Küste die Korsaren ihr Unwesen, Khair ad-Din Barbarossa, Herr von Algerien und „Schrecken der christlichen Seefahrt“. Vom blendend weißen Bizerte ist es nur ein Katzensprung ist nach Raf Raf, dem Badeparadies der Hauptstädter – Tunis ist nur 80 Kilometer entfernt. Das zauberhafte Hinterland bietet satte Wiesen, sanfte grüne Hügel, schwarze und weiße Schafe. Nirgends wirkt Afrika neuseeländischer als hier. Irgendwo dazwischen liegt ein romantischer, pflanzenbewachsener Ort von historischer Bedeutung: Utica.

Hier befand sich in der Antike der betriebsamste Hafen der Region. Von den Phöniziern gegründet, existierte er vor Karthagos Blütezeit, und auch nach Karthagos Niedergang übernahm er dessen Funktionen. Nicht allzu lange, denn der Medjerda, Hauptfluss Tunesiens, wurde zusehends seichter und versandete, bis Utica zu einem beliebigen Bauerndorf herabsank und heute ein hübsch bewachsenes Ruinenfeld mit Kakteenwucherungen am Fuß eines Landguts geworden ist, wo Kühe grasen und Hunde bellen.

In Richtung Westen windet sich die Straße nach oben, die frische, fast transparente Luft wird merklich kühler. Das Bergdorf Ain-Draham blickt zum Meer und ist doch an der Spitze: der tunesische Luftkurort. Umgeben von Korkeichenwäldern, an den Hängen des Kroumirie-Gebirges, hat Ain-Draham für das einzigartige Klima bekannt. Unter den steilen geziegelten Dächern – es kann im Winter schneien – treffen sich auch Hobbyjäger, die Europa müde geworden sind. Je nach Saison und Angebot werden Wildschweine, Wachteln, Schnepfen, Fasane, Hasen, aber auch Schakale und Füchse geschossen. Die Jagd hat Tradition: bis ins vorletzte Jahrhundert existierten in den weitläufigen Wäldern um Ain-Draham Löwen und Leoparden. Das römische Reich nützte die Bestände zur Deckung des Kolosseumsbedarfs.

Überhaupt war Tunesien eine Schatzkammer für die Römer. Als Konsul Marcus Lepidus in den Eingangsbereich seiner Privatvilla gelb schimmernden Chemtou-Marmor bauen ließ, rümpfte die High Society Roms noch die Nase. Doch der Mann setzte einen Trend. In Chemtou, auch Simitthu genannt, wurde ab dem 1. Jahrhundert vor Christus wie verrückt in den Steinbrüchen gegraben, meist von Zwangsarbeitern, um die kaiserlichen Prunkbauten mit dem Modestein zu versorgen. Den Marmor mit den feinen gelbroten Adern transportierte man über den nahe gelegenen Hafen Tabarka, einst Thabraca, nach Europa.

Keiner weiß, wieso die Massen nicht schon längst über das Städtchen an der algerischen Grenze hergefallen sind. In einer malerischen Bucht, unter dem genuesischen Kastell, herrscht in Tabarka eine Mischung von Fischerdorf-Leben und Warten auf die kurze Hochsaison. Die Ruhe ist legendär: Hier war Habib Bourguiba 1952 von der französischen Kolonialverwaltung verbannt, populärer Staatsvater (1957-1987) und Vorgänger des aktuellen Herrschers Ben Ali, dessen Beliebtheit nicht mit seiner allgegenwärtigen Präsenz als Jubelbildnis Schritt halten kann. Auf einem Streifen östlich der Stadt, in der „zone turistique“, entstehen gerade ein paar Hotels der besseren Sorte. Man kann bereits Golf spielen. Tabarka schläft noch ein bisschen. Das Kastell ist geschlossen, vor geraumer Zeit wurde hier ein Hollywoodfilm gedreht, und Arbeiter schleppen, Stück für Stück, die Kulissen ins Freie: Papptore, verzierte römische Säulen. Katzen streifen um die Holzhäufen, irgendwer hat ihnen einen Haufen Cous Cous vorbeigebracht, aus dem sie mit den Pfoten lustlos die Lammstücke herausfuseln. Es gibt genug für alle.

Im Bergland südlich der Bucht gibt es nicht nur Marmor, sondern auch Dougga, die imposante römisch-numidische Ausgrabungsstelle. Auf einem Abhang sind Amphitheater, Thermen und Bürgerhäuser ebenso erhalten wie zahlreiche Mosaiken. Weniger großartig, aber ebenso weitläufig ist das nahe gelegene Bulla Regia. Noch ist es ruhig, noch sind es meist Individualtouristen, die Orte wie Dougga und Bulla Regia auf eigene Faust erforschen, darunter auch einige aus dem nahen und doch so fremden Algerien, die mit ihren eigenen Wägen gekommen sind. Die wöchentliche Fähre von Genua bringt aber auch das eine oder andere europäische Auto nach Afrika, und manch einer wundert sich, wenn er auf den Minaretten der Moscheen und den Masten der Stromleitungen Nester von Störchen bemerkt: Da sind sie ja wieder! Im tunesischen Norden gibt es noch eine Menge zu entdecken.

 

Flüge Tunis Air jeden Donnerstag und Sonntag Wien/Tunis/Wien, www.tunisair.at

Reiseveranstalter: Tunesien Spezialist „Express-Reisen“, Sankt Johann Gasse 1-5, 1050 Wien, Tel. +43/1/548 86 55, www.express-reisen.at

Landesinfo: Tunesisches Fremdenverkehrsamt, Opernring 1/R/109, A-1010 Wien, Tel.: +43/1/585 34 80, Fax: +43/1/585 34 80-18, office@tunesieninfo.at, www.tunesien-info.at

Fähre: Genua-Tunis-Genua fährt im Winter 2x wöchentlich, im Sommer öfter, die Überfahrt dauert 22 Std., Anlagehafen in Tunis "La Goulette" (www.ferries.de